Andreas Hundacker // Katze und Krieg – Wenn die Sonne untergeht

by admin on Juni 21, 2011

Die Performance ‘Wenn die Sonne untergeht’ begann um 20.51 Uhr, passend zum offiziellen Zeitpunkt des Braunschweiger Sonnenuntergangs am 06. Mai 2011. Zuvor hatten die Künstlerinnen Julia Dick und Katharina Sandner jedem der ca. 10 Teilnehmer einen persönlichen Empfänger mit Kopfhörern gegeben und kurz dessen Funktionsweise erklärt. Als die letzten Teilnehmer den kleinen Galerieraum betraten, schminkten sich die Performance-Künstlerinnen bereits mit rotem Lippenstift, goldenem Lidschatten und goldenem Deko-Glitter und statteten sich mit je einem, an der Brust befestigten, Mikrofon aus.

Um 21.00 Uhr ging Julia Dick nach draußen vor die Schaufensterwand der Galerie. Sie nahm die orangefarbene Kugellampe ab, welche bis dahin dort hing, und bewegte sie langsam in beiden Händen in Richtung Boden. Nach etwa einer Minute war die Lampensonne unterhalb der Glaskante verschwunden und tauchte die Performerin in ein rotes Licht.

Anschließend wurden wir aufgefordert, den Künstlerinnen zu folgen. Sie gingen los in Richtung Innenstadt und hielten hier und da kurz an, um einander Möglichkeiten mitzuteilen: “Wir könnten uns jetzt zu diesen Männern setzen und nichts sagen”, “Wir könnten uns auf ihren Schoß setzen”. Durch die Empfangsgeräte waren sie auch aus einigen Metern Entfernung gut zu verstehen. Als erste Aktion, nach diesen sonst nur hypothetischen Äußerungen, fragte Julia Dick einen Jungen, ob sie von seinem Eis probieren dürfe. Er lehnte leicht verwundert ab.

Von der Straße der Fußgängerzone aus betrachteten die Künstlerinnen ein geöffnetes Fenster im ersten Obergeschoss eines Wohnhauses. Sie gingen einige Möglichkeiten durch und entwickelten den Plan, der Person, die dort wohnt, ein Eis zu besorgen und vorbeizubringen. Daraufhin gaben sie – natürlich nach vorheriger Überlegung – an der Pizzeria nebenan ein musikalisches Ständchen für die draußen sitzenden Gäste zum Besten, um sich ein wenig Geld für zehn Kugeln Eis zu verdienen. Das Ständchen klang zwar nicht sehr melodisch, die Beiden konnten jedoch trotzdem drei Euro und einen sauren Apfelring bei den Pizzeriagästen ergattern. Im Anschluss daran versuchten die Performerinnen, den Apfelring in der nächsten Eisdiele gegen zehn Kugeln Eis zu tauschen und die drei Euro als Trinkgeld zu geben. Dieser Plan scheiterte jedoch – nicht zuletzt an der Sprachbarriere zwischen Deutsch und Portugiesisch. Dennoch gelang es, einen Mitarbeiter dazu zu bewegen, den Chef anzurufen und die Situation zu schildern.

Julia Dick und Katharina Sandner stellten fest, dass sie eine bessere Show entwickeln müssen, um Geld für ihr Eis zu bekommen. Somit baten sie die Gäste eines Cafés um Hilfe. Diese Gäste – bestehend aus hauptsächlich englischsprachigen Schauspielern, Models und einem Tänzer – amüsierten sich zunächst über die beiden Damen und dem ihnen folgenden Publikum. Schließlich machten sich die Künstlerinnen eine nicht ernst zu nehmende und in Teilen sexistische Choreografie eines der Gäste zu eigen und probierten den neu gelernten ‘Tanz’ an der nächsten Eisdiele aus. Dort bekamen sie für eine dreiminütige Loop-Aufführung dieser Schritte die zehn Kugeln Eis – auf die Hand. Nach einigem hin und her wollten sie weder Becher noch Waffel für ihr Eis. Mit den Kugeln in der Hand ging es dann ein wenig schneller zurück in Richtung des geöffneten Fensters. Auf dem Weg luden sie noch einige Menschen, die draußen saßen, dazu ein, an ihrem Eis zu lecken.

Das Fenster war bei der Wiederankunft geschlossen, daher wiesen sie auf die Möglichkeit hin, an der Tür zu klingeln und setzten sie in die Tat um. Sie gingen um die Ecke und klingelten in allen Wohnungen, um Einlass in den Hinterhof zu bekommen. An dieser Stelle teilte sich die Gruppe der Teilnehmenden dieser Performance auf. Ich ging in den Hinterhof und beobachtete von dort aus, wie die Performerinnen im Treppenhaus von den Bewohnern im ersten Stock Eintritt gewährt bekamen und sich die Hände mit warmem Wasser wärmen durften. Dann wurden die Künstlerinnen und auch einige der Zuschauer in die Wohnung gebeten, damit gemeinsam das Eis gegessen werden konnte. Als es ein paar Schwierigkeiten mit den Empfangsgeräten gab und ich nur noch Wortfetzen hören konnte, ging ich in das Treppenhaus vor die Wohnungstür. Da es auch hier nicht besser wurde und die Tür geschlossen war, ging ich zurück auf die Straße der Fußgängerzone, wo ein paar weitere Teilnehmende standen. Das Fenster war wieder geöffnet und die Sprachübertragung funktionierte.

Kurz darauf fragten sich die Künstlerinnen, auf welche Weisen sie das restliche Eis runter auf die Straße zu den Menschen bringen könnten. Schließlich erklärte sich eine der Teilnehmenden dazu bereit, eine Kugel Eis, welche aus dem Fenster fallen gelassen wurde, mit dem Mund zu fangen. Das klappte nicht auf Anhieb, und so halfen wir anderen in der Fußgängerzone der Akrobatin bei der Säuberung ihrer Klamotten. Wann, wenn nicht jetzt war das Eis gebrochen? Unmittelbar danach kam Julia Dick, den Mund voller Eis, direkt auf mich zu und fragte: “Willst du Eis?” Ich lehnte freundlich ab. Das Eis wurde sie, Mund-zu-Mund, noch an eine andere Teilnehmende los.

Zum Schluss gingen die Performerinnen wortlos noch einmal zu allen ‘Stationen’, an denen etwas passiert war, und blieben dort für einen Augenblick betrachtend stehen, bevor sie zur nächsten Station gingen: Das Fenster, die Pizzeria, die erste Eisdiele, das Café, die zweite Eisdiele… Der Weg endete in der Galerie. Dort schminkten sie sich ab. Die Performance endete um 22.13 Uhr.