Lisa Krusche // Katze und Krieg: „Wenn die Sonne untergeht“ (05.05.2011)

by admin on Juni 24, 2011

Der Abend und damit die Performance „Wenn die Sonne untergeht“ von Julia Dick und Katharina Sander in Kooperation mit dem LOTTheater Braunschweig, dem einRaum 5–7 und dem Theaterhaus Hildesheim, beginnt mit dem Sonnenuntergang.

Mit dem Wirklichen und parallel mit einem Nachgestellten für die Zuschauer. Diese sitzen in einem nahezu leeren Raum, der „einRaum Galerie“,  und blicken durch ein großes Fenster nach draußen, wo eine Lampe gelb leuchtend wie die Sonne aufgehängt ist. Diese löst eine der Performerinnen aus der Aufhängung, stellt sie in einer langsamen, sanften Bewegung auf dem Boden ab und löscht das Licht. Die Sonne ist untergegangen, es geht los. Die Performerinnen mit ihren Goldglitzer umrandeten Augen  und auf der Brust  aufgeklebten Mikrophonen  verlassen den Raum, gefolgt von den Zuschauern, von denen jeder über Kopfhörer per Funk, das hören kann, was in die Mikrophone tönt.  So kann man nah an den Performerinnen bleiben oder aber je nach Belieben bis zu 50 Meter Abstand halten, irgendwann bricht die Verbindung ab. Der Weg führt vorbei an mehreren Cafés und Kneipen, deren Tische draußen gut besetzt sind. „Wir könnten uns jetzt zu diesen Leuten dazusetzen. Wir könnten die Frau fragen, ob wir für sie weitertelefonieren sollen. Wir könnten einen großen Krug von drinnen holen und alle Getränke der Gäste zusammen schütten und dann müssten alle aus dem großen Krug trinken.“ Die Gäste über die gesprochen wird, reagieren nicht oder kaum merklich, mit einem verwunderten Blick vielleicht, auf die Überlegungen der Performerinnen. Es ist ein Ausloten der Möglichkeiten des Abends im „Kann-Konjunktiv“ immer im direkten Bezug auf die  Geschehnisse in der Umgebung. Der Zuschauer hört jede dieser Überlegungen über die Kopfhörer und wird zugleich Zeuge, welche  umgesetzt werden. „Wir könnten einfach auf der Straße stehen bleiben.“ Und dort bleiben sie stehen. „Wir könnten andere Menschen bitten, hier ebenfalls stehen zu bleiben.“ „Wir könnten den beiden Männern hinterherlaufen und sie fragen, wohin sie gehen und mit ihnen mitgehen.“ Gesagt, getan. Die beiden Männer reagieren irritiert. „Ich habe Angst.“ „Seid ihr von der Stasi?“ „Was macht ihr denn?“ „Wir überlegen, was wir machen könnten.“ Nie wird im Verlauf des Abends die Antwort auf diese Frage: „Performancekunst“ sein. Die Frauen heften sich an die Fersen der beiden Männer, die in eine Cocktailbar gehen. Dort setzen sie sich an die Bar und unterhalten sich weiter mit den beiden jungen Männern, während sich die Zuschauer im Raum positionieren. „Jeder könnte sich eine Salzstange nehmen und sich einen anderen suchen und die Salzstange mit dem zusammen essen.“  Die Performerinnen verteilen Salzstangen, einige der Zuschauer essen sie mit anderen zusammen. Jeder isst von einer Seite. Die beiden jungen Männer verweigern sich der Aktion, ebenso wie zwei ältere Frauen, die ebenfalls an der Bar sitzen und sich damit entschuldigen, dass sie momentan eine Diät machen würden. Eine Perfomerin bleibt hinter der Bar und greift dem Servicepersonal unter die Arme. Verteilt Getränke und kassiert, während der Barkeeper versucht zu erklären, nur er könne das. Ein wie er es nennt: „Zaubertrick“, den er den Performerinnen zeigt, bringt sie schließlich von ihrer gastronomischen Tätigkeit ab. Dabei wird eine Limette unter eine Serviette gelegt und angestupst, es entsteht so der Eindruck, als befände sich unter ihr etwas Lebendiges. „Wir könnten rausgehen und den Leuten draußen den Zaubertrick vorführen.“ Draußen gehen die Überlegungen weiter. „Wir könnten ganz viele Leute versammeln und allen den Zaubertick vorführen. Wir könnten den Leuten im Pub den Zaubertrick vorführen. Wir könnten in dem Haus da klingeln und alle Nachbarn zusammen holen, ihnen den Zaubertrick vorführen, sie raten lassen, was darunter ist und wer richtig rät, bekommt etwas von uns.“ Sie drücken alle Klingeln eines Mietshauses, jemand öffnet die Tür. Im Haus erklärt sich ein Studentenpaar bereit, zu raten, was unter der Serviette ist. Eine der Performerinnen sitzt zuerst noch in der Eingangstür, dringt dann auf den Knien rutschend bis ins Schlafzimmer des Pärchens vor. Die Zuschauer stehen dabei im Treppenhaus, können durch die Eingangstür spähen, sind beim Geschehen dabei und tragen dennoch keinerlei Verantwortung „Und? Was glaubst du, ist darunter? Wenn du verlierst, musst du uns was schenken!“ „Eine Maus vielleicht? Oder ein Hamster?“ Am Ende wechselt eine halb gefüllte Flasche Wodka den Besitzer. „Wir könnten jetzt im Treppenhaus stehen bleiben und ganz still sein.“ Das Licht geht aus. „Wir könnten den Wodka trinken und von Mund zu Mund weitergeben.“ Ein Gemisch aus Spucke und Wodka macht die Runde. Eine seltsame Form plötzlicher Intimität zwischen nahezu Fremden – zusammen geschweißt durch den geteilten Moment in einem dunklen Treppenhaus. „Wir könnten alle auf diesem einen Treppenabsatz stehen bleiben und darüber philosophieren, was wir mit dieser Wodkaflasche machen. Wir könnten jetzt alle in den Wodka spucken. Wir könnten alle ein Geheimnis in die Wodkaflasche sprechen.“ Sie beginnen die Treppe hinabzusteigen, klingeln bei einer Mieterin, die sich zuvor über dem Krach im Treppenhaus beschwert hat. „Wir könnten ein Glas Versöhnungswodka mit Ihnen trinken.“ „Nein danke. Ich will, dass sie einfach nur gehen, nach draußen oder in eine Wohnung.“ „Okay, entschuldigen Sie noch einmal die Störung.“

Wieder draußen, führt sie der Weg in eine Kneipe, das Kontrastprogramm zu der schicken Cocktailbar. Auf mehreren Bildschirmen laufen die Übertragungen von Sportveranstaltungen, an der Theke sitzen vier alkoholtrinkende Gestalten. Während die Performerinnen mit diesen ein Gespräch beginnen, dreht sich ein Mann zu den teils stehenden, teils sitzenden Zuschauern, um ihnen mit schiefem Blick und Grinsen händeklatschend zu verkünden, wie schön es sei, dass endlich mal wieder etwas los ist. Nach einigem Hin- und Her und Fragen wie „Was soll das bringen?“ sind der Wodkaflasche einige Geheimnisse anvertraut worden. „Wir könnten sie jetzt draußen in den Brunnen schmeißen.“ Es kommt die Idee auf, wie bei einer Schiffstaufe eine Flasche Sekt am Brunnen zerschellen zu lassen. Da der Wirt nicht bereit ist, eine Flasche kostenlos herauszugeben, das Geld der Performerinnen aber auch nicht ausreicht, entschließen sie sich, ihr Glück an einem Glücksspieltautomaten zu versuchen. Mehrere Runden werden verloren, der Geldbetrag wird immer kleiner, dann aber: Ein Sieg. Der Automat schüttet elf Euro aus. Die Sektflasche wird erworben. Die Gruppe macht sich wieder auf den Weg, trotz wiederholter Einladung, ohne die Gäste der Kneipe. „Wir könnten um den Brunnen tanzen. Wir könnten die Fackeln dort nehmen.“ Jede der Performerinnen greift sich eine Fackel, die vor der zuvor besuchten Cocktailbar aufgestellt sind. In einer affen- bzw. steinzeitmenschenähnlichen Bewegung stampfen sie, das Wort „ugaaga“ brüllend und gefolgt von einigen der Zuschauern, um den beleuchteten Brunnen, der auf einem großen Platz in der Braunschweiger Innenstadt steht. Nach sechs Runden werfen sie die Wodkaflasche ins Wasser und die Sektflasche gegen den Brunnen. Ein Mitarbeiter der Cocktailbar nähert sich, droht damit, die Polizei zu alarmieren und weist darauf hin, dass die Fackeln zu seiner Bar gehören würden. Man solle sie zurücktun. „Was macht ihr hier eigentlich? Ist das so ein Hexenritual oder was?“.  Die anfängliche Wut scheint verraucht, plötzlich wird er neugierig. Die Fackeln, na ja, nächstes Mal solle man einfach fragen. Das Angebot, noch einmal mit ihm um den Brunnen zu tanzen lehnt er ab. Man entschließt sich stattdessen eine Friedenszigarette in der Bar zu rauchen. Hier stößt sogar einer der Männer vom Anfang mit den Worten: „Drei Cocktails und ich bin für solchen Spaß zu haben.“, erneut zu der Gruppe dazu. Aus dem gemeinsamen Zigarette-Rauchen wird ein Zigarettenrauch von Mund zu Mund Weitergeben an dem sich nur wenige beteiligen. Danach wird die Bar verlassen und alle Orte des nächtlichen Geschehens noch einmal aufgesucht, zumindest von außen betrachtet, um dann zum Ausgangspunkt zurückzukehren. Die Performerinnen wischen sich das Glitzer von den Augen und verbeugen sich. Die Performance ist zu Ende.